Meinungsblog: Skandal im Sperrbezirk?

von Susann Budras, Mitglied im Landesvorstand der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) Berlin

 

„In München steht ein Hofbräuhaus
Doch Freudenhäuser müssen ‘raus
Damit in dieser schönen Stadt
Das Laster keine Chance hat“
Spider Murphy Gang – Skandal im Sperrbezirk

Sexarbeit ist in Deutschland legal. Allerdings war sie bis 2001 noch sittenwidrig. Sittenwidrig heißt, dass ein Gewerbe gegen die guten Sitten, gegen die vorherrschende Moral, verstößt. Seit 2002 ist Prostitution kein Verstoß mehr gegen gute Sitten, dank des unter der Rot-Grünen Koaliton eingeführten Prostituiertenschutzgesetzes.

Trotzdem gibt es noch eine Reihe von Möglichkeiten, um Sexarbeit einzuschränken und an den Rand der Gesellschaft zu drängen. Zu diesen Möglichkeiten gehört der Erlass von Rechtsverordnungen für bestimmte Gebiete. Sperrgebiete, oder auch Sperrbezirke, verfolgen das Ziel, das offensichtliche Anbieten von Sex für Geld aus der Gemeinde, in das Umland zu verlagern, damit der öffentliche Anstand gewahrt und die Jugend beschützt wird.

Im folgenden Beitrag möchte ich darstellen, warum Sperrbezirke auf der einen Seite die Arbeitssituation der Sexarbeiter*innen verschlechtern und auf der anderen Seite die Verharrungskräfte der alten Sexualmoral aufzeigt. Dazu stelle ich zuerst dar, was Sperrbezirke generell für Auswirkungen auf Sexarbeiter*innen haben und an welchen Stellen Sexarbeit durch Verdrängung unsicherer wird. Daran anschließend mache ich deutlich, wie Stigmatisierung von Prostitution am Beispiel der Sperrgebiete erfolgt. Abschließend folgen einige Gedanken zu den Auswirkungen dieser Rechtsverordnungen auf die gesellschaftliche Erziehung der Bürger*innen und vor allem der Heranwachsenden. Welches Bild von Sexualität wird vermittelt?

Zuerst einmal bedeuten Sperrbezirke die Verdrängung von Sexarbeit aus dem öffentlichen Raum. Die Prostituierten haben de facto Berufsverbot in breiten Stadtteilen oder ihren Gemeinden. Der Bundesverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen, BesD, gibt an, dass 98% von Baden-Württemberg ein Sperrbezirk ist, ebenso wie der Großteil der Stadt München. In München fallen sogar jegliche Haus- und Hotelbesuche beim Kunden unter das Verbot. Spannend ist hier vor allem, wie die Einhaltung der Rechtsverordnung überprüft wird: Polizist*innen führen Scheinbuchungen durch. Das heißt, sie geben sich als Freier aus und unterbreiten den Prostituierten Angebote, die diese, aus rechtlicher Sicht, ablehnen müssen. Die Herangehensweise ist entlarvend. Die Schuld für Gesetzesbrüche werden bei Prostituierten und nicht bei den Freiern gesucht. Eine Untersuchung in diese andere Richtung, mit Scheinprostituierten, die Freier Angebote machen, gibt es selbstredend nicht. Wer in der Schule im Fach Sozialkunde aufgepasst hat, weiß, dass eine Angebotsverknappung  von Arbeitsorten zu Monopolbildung führt. Die Folge davon ist beispielsweise die Ausnutzung des sogenannten „Vermieterprivilegs“. Vermieter*innen verlangen horrende Preise für ihre Wohnungen zum Zwecke der Sexarbeit, ohne einer Arbeitgeberfunktion im entferntesten nachzukommen. Hier muss man wissen, dass ein Großteil der Prostituierten ihrer Tätigkeit in Privatwohnungen und nicht in Bordellen nachgehen[1].Die Monopolisierung führt zudem zu einem höheren Konkurrenzdruck. Der Raum für das Angebot von Sexarbeit wird kleiner, mehr Sexarbeiter*innen drängen sich zusammen. Um herauszustechen und Dienstleistungen zu verkaufen, werden Preise immer weiter reduziert, um den Zuschlag zu bekommen.

Wird Sexarbeit aus den Gemeinden verdrängt, findet sie in abgelegenen Gebieten statt. Wer aus seiner Gemeinde herausfährt, beispielsweise in ein Gewerbegebiet, weiß, wie dunkel diese Stadtteile häufig sind. Eine durchgehende Straßenbeleuchtung fehlt meist. Anders als in der Stadt bzw. Gemeinde sucht man Anwohner*innen oder Spaziergänger*innen in diesen Gebieten vergebens. Es gibt also keine kontrollierenden Augen und Ohren, die auf Hilfeschreie von Sexarbeiter*innen reagieren und im Falle einer Straftat die Polizei alarmieren könnten. Die Gefahr von kriminiellen Übergriffen auf Sexarbeiter*innen steigt dadurch konsequenterweise an – und somit auch die Notwendigkeit von Personenschutz. Nur können sich viele Selbstständige, die nicht für ein großes Bordell oder Zuhälter arbeiten, keine Aufpasser leisten. Dadurch besteht die Gefahr eines Zwei-Klassen-Berufsfeldes. Dienstleister*innen, die beschützt werden, und jene, die ohne Schutz arbeiten. Dagegen bietet die Arbeit in Wohngebieten den Dienstleistenden einen gewissen Schutz vor Gewalt.

Verdrängung bedeutet Stigmatisierung. Sucht man im Duden nach Synonymen für Stigmatisierung, findet man: ächten, an den Pranger stellen, brandmarken, denunzieren, diskriminieren. Jedes dieser Worte macht uns klar, dass wir mit Sperrbezirken bewusst eben dies mit der Sexarbeit und den dort Beschäftigten tun. Die Sperrbezirke werden mit der Begründung des Schutzes der Jugend und der Wahrung des öffentlichen Anstandes erlassen, nach dem Motto: Aus den Augen, aus dem Sinn. Doch warum wird die Arbeit mit Sex als anstößig wahrgenommen und ausgelagert, weg von den braven Bürger*innen?

„Die Eigenschaft wird erst dann zum Stigma, wenn sie von anderen als Normabweichung verstanden wird und gleichzeitig eine negative Bewertung erfolgt. [...] Hohmeier (1975) spricht von der Übertragung eines Merkmals auf die gesamte Person, wodurch er Stigmatisierung als Prozess der Generalisierung beschreibt, der auf die Person in all ihren sozialen Bezügen wirkt.“ (Piontek 2009, S.12)

Sex zu verkaufen wird demnach als Normabweichung empfunden. Anstand und Sitte gefährdet Sexarbeit vor allem dadurch, dass das Dogma und die gesellschaftliche Norm der heterosexuellen Paarbeziehung aus Liebe in Frage gestellt wird. Sex wird im Zusammenhang mit Liebe verstanden. Deutlich wird dies auch an der Debatte um Pornographie, die seit jeher vom Bürgertum angegriffen wird, da Liebe und Sex, bzw. Selbstbefriedigung, entkoppelt werden. Warum das vielen Gemeinden ein Dorn im Auge ist, macht folgendes Zitat deutlich:

„Stigmatisierungen können ebenso als Strategien der Identitätssicherung aufgefasst werden. So stellt die Begegnung mit Stigmatisierten oder Stigmatisierbaren häufig eine Bedrohung der eigenen Identität dar, in dem man sich u. U. eigenen Abweichungstendenzen bewusst wird. Eine Abgrenzung durch das Herausstellen der eigenen Normalität und der Ablehnung des anderen kann hier wieder ein Gleichgewicht herstellen (vgl. Hohmeier 1975).“ (Piontek 2009, S.15)

Menschen neigen immer dazu ihr Lebensmodell zu verteidigen und scheuen sich vor dem kritischen Hinterfragen der getroffenen Entscheidungen, auch und gerade in Bezug auf Sexualität und Partnerschaft. Mit den Sexarbeiter*innen sind die Schuldigen gefunden, die die sicher geglaubte Existenz in Frage stellen. Nicht vergessen werden darf, dass Sexarbeit nicht nur von Frauen ausgeübt wird, sondern auch von Männern und Trans*personen. Vor allem die transsexuellen Sexarabeiter*innen werden häufig in der Debatte um Sexarbeit verschwiegen. Wahrscheinlich liegt das daran, dass Zweigeschlechtlichkeit in unserer Gesellschaft nur in wenigen linken und liberalen Gruppen hinterfragt und abgelehnt wird. Sperrbezirke verbannen somit auch die Vielfalt von Sexualität und damit auch eine wichtige Debatte aus der Öffentlichkeit. Wenn es Sexarbeit schon gibt, dann wenigstens „not in my backyard“!

Was hat das für Folgen? Wer sich keine Gedanken mehr um die Lebensumstände von Sexarbeiter*innen macht (machen muss), nimmt billigend in Kauf, dass diese ausgebeutet werden und unter widrigen Bedingungen arbeiten. Der Blick auf Sexualität wird verengt. Gerade die Jugend, die geschützt werden soll, wird in ihrer Freiheit und ihren Auswahlmöglichkeiten in Bezug auf ihre sexuelle Identität eingeschränkt.

Wer sich dafür entscheidet, Sex für Geld anzubieten, muss an seinem Job noch lange keinen Spaß haben (kann dies aber natürlich auch). Das haben Menschen hinter der Kasse oder beim Putzen auch nicht unbedingt. Nötig ist es dennoch, um Geld zu verdienen. Jede*r sollte selbst entscheiden dürfen, was für ihn oder sie zumutbar ist und was nicht. Sexarbeit ist ARBEIT. Und genau so sollte sie auch reguliert werden. Die vorherrschende Doppelmoral, dass Prostituierte zwar Steuern zahlen, aber trotzdem aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden, ist absurd und menschenunwürdig. Vorrangiges Ziel sollte es sein, die Lebens- und Arbeitsbedingungen von Sexarbeiter*innen zu verbessern und nicht, ihnen Steine in den Weg zu schmeißen und ihnen die Ausführung ihrer Arbeit so schwierig wie möglich zu machen.

tl;dr: Schafft die Sperrbezirke ab!

Piontek, Tobias (2009): Stigmatisierung im Erleben von Jugendlichen mit Erfahrungen in der Psychiatrie. Eine empirische Untersuchung. Blumhardt Verlag. Ausgewähltes Kapital verfügbar unter: http://www.hs-hannover.de/fileadmin/media/doc/bibl/blumhardtverlag/leseprobe_ma1.pdf


[1]          Die Vermieter*innen werden für diese Form der Ausbeutung aber deutlich schwächer bestraft als Zuhälter. Ausbeutung ist jedoch Ausbeutung – wenn sich die Prostituierten sich dieser nicht entziehen können, müssen alle Formen der Ausbeutung mit dem gleichen Strafmaß bedacht werden.

 

Die Ansichten und Argumentationen der Verfasser*innen des Jusos Neukölln-Meinungsblogs sollen die öffentliche Debatte über sämtliche politische Themen voranbringen und sind damit nicht zwingend Meinung der Jusos Neukölln.

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